Von Leinwand zu Foto, von Foto zu Web

#1 Der Weg zur Künstlerin

Foto v. Sara Pawlak

„Ich wär da. An der Aktienmühle.“ Schreibe ich Chantal, als ich das Pförtnerhaus in der Gärtnerstraße erreiche. Viele Fenster, eine Hinterhofeinfahrt, ein kleiner Laden mit regionalen Produkten und Straßenbahnleitungen, die zum Gebäude führen.

„Hallo Sara, stehst du unten? 3 OG über Eingang OST. Wenn mit Lift, dann zweimal links, wenn mit Treppe, dann vor dem Lift rechts und dann links!“, kommt als Mail-Antwort zurück.

Ich folge der Anweisung und kurze Zeit später sitze ich mit einer Tasse Tee in der Hand in Chantals Atelier.


Fotografierst du schon lange auf diese Art und Weise?

Ja, schon. Ich mache das wirklich schon sehr lang.

Es hat mich begeistert und auch neugierig gemacht. Vorher habe ich viel gezeichnet und gemalt. So hat das mit dem Gedanken aufs Studium angefangen. Ich bin immer mit Pinsel und Stift unterwegs gewesen. Hab dort, wo ich war, zwei Tage kreiert. Auch schon in frühester Kindheit.

Die Fotografie hat mich immer auf spielerische Art gelockt. Es war eher so, als hätte ich die Fotografie gar nicht als Kunst angesehen. Mehr als Vorlage oder aus Spaß, sich mit der Freundin zu verkleiden.

Im Studium hatte ich dann auch Fotografie Unterricht. Ich habe mich richtig darauf gefreut! Doch das hat sich dann als Flop herausgestellt. Unser Lehrer meinte immer nur: „Schaut, da habt ihr ein Arbeitsblatt. Wir sehen uns in einer Woche wieder.“

Deswegen habe ich angefangen, mir selber etwas über Fotografie beizubringen. Die Aufgaben, die im Unterricht gestellt wurden, habe ich in 1000 verschiedenen Varianten fotografiert. Das hat mir dann auch richtig Spaß gemacht und ich habe gemerkt, dass es etwas ist, wo ich mich reinbeiße.

Das heißt, du hast die wenigen Aufgaben von der Schule genutzt, um das für dich so umzusetzen, wie du es auf unterschiedliche Art und Weise interpretierst?

Ja, genau. Und dabei habe ich versucht, mir selber etwas über Fotografie beizubringen. Ich war einfach megawissensdurstig.

Mit der Zeit habe ich gemerkt, wie unglaublich vielseitig die Fotografie sein kann. Dass es nicht nur bedeutet, den Tagesausflug mit Freunden zu dokumentieren.  Sondern, dass man mit ihr extrem viel ausdrücken kann.  Du kannst all das machen, was auf einer Leinwand auch möglich ist.

Was hat dich dazu bewogen, später auch so intime Bilder von dir selber zu fotografieren?

Ich hatte eine sehr schwierige Zeit. Also persönlich. Wegen einer Trennung. In dieser Zeit hatte ich das Bedürfnis, etwas zu kreieren. Ich hatte das Bedürfnis, zu fotografieren. Ideen, Gefühlslagen und verschiedene Stimmungen auszudrücken. Deswegen habe ich angefangen, die Kamera gegen mich zu richten.

Am Anfang waren es nur Profilbilder. Irgendwann habe ich Vorbilder gefunden, die auch Selbstportraits machen. Das war dann für mich, keine Ahnung, irgendwie wie eine Erlaubnis.

„Ah ok, Selbstportrait machen is a Thing. Es ist nicht komisch. Es ist nicht seltsam oder narzisstisch, sondern es gibt ein Genre dafür.“

Und mit dieser „Erlaubnis“ oder mit dem, wie soll ich sagen …, mit dem, dass ich wusste, dass das auch wirklich etwas Ernsthaftes ist, habe ich angefangen, etwas daraus zu machen.

Ja, manchmal braucht es so etwas wie eine „Erlaubnis“, um das Gefühl zu bekommen, man ist nicht alleine mit einer Sache. Das tut dann schon gut. Wie hast du etwas daraus gemacht?

Ich habe andere Leute gefunden, die mich fotografisch inspirieren und bin so über andere Fotografinnen und Fotografen zur Aktfotografie gekommen.

Die Ästhetik, aber auch die Verletzlichkeit, die Ehrlichkeit, das Nackte – all das hat mich unglaublich stark angesprochen. Das hatte bei mir so eine Resonanz, so eine Übereinstimmung mit meiner Gefühlslage.

Ab da habe ich mich dann auch getraut, mehr Haut zu zeigen. Am Anfang noch megaschüchtern. Mal die Schultern, mal ein Bein, mal den Rücken.

Es ist schon ganz schön scary gewesen: „Was mache ich da eigentlich? Ich mache Fotos von mir selber! Nackig! Und verteil die dann auch noch im Internet.“

Ja klar, es ist nicht immer einfach! Du bekommst nicht immer nur positives Feedback. Aber trotzdem: Die Rückmeldungen, vor allem die auf Instagram, in der Community – von denen ist überwältigender Support und Appreciation gekommen.

Hat es dir gar nichts ausgemacht, die Bilder zu posten? Ab wann hast du damit angefangen? Also, wann hast du dich dazu entschieden, deine Bilder via Social Media zu veröffentlichen?

Ich bin ein Classic Digital Native. Das hat schon recht früh angefangen. Also mit 12 eigentlich. Ich bin mit Handy aufgewachsen, dann auch mit Smartphone. Und dann ist Social Media aufgekommen. Eigentlich hatte ich recht schnell eine Facebook Page.

Als ich erkannte, dass die Fotografie etwas für mich ist, brauchte ich einen Ort, an dem ich das sammeln konnte. Ein Gefäß, so zu sagen. Es hat irgendwie Sinn gemacht.

Und dann ist Instagram ins Spiel gekommen. Hier habe ich einen Ort gefunden, eine Community, die den Hashtag „filmphotography“ benutzt. Oder Hashtag „If you leave“ oder „heartbroken“, „melancholic“, und so. Ich dachte mir, hier finde ich Leute, die das Gleiche cool finden wie ich.

Mein ganzer Weg ist schon sehr begleitet gewesen von immer alles teilen.

Wie war es für dich, als du dein erstes Nacktportrait gepostet hast? Warst du aufgeregt?

Ich habe mich schon sehr gefürchtet am Anfang. Vor Verurteilung. Hab‘s dann aber trotzdem gemacht. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat.

Ich saß mit klopfendem Herz vor meinem Handy. Hab immer wieder draufgeschaut. Eine halbe Panikattacke   geschoben. Und am nächsten Tag gemerkt, dass die Welt sich weiter dreht. Die Leute sind mir genau gleich begegnet. Es gab vielleicht ab und zu einen Spruch von meinen Freunden, aber das war‘s auch schon.

Von einem meiner Lieblingskünstler gibt es ein Zitat. Es ist auf Englisch. Ich weiß es nicht mehr Wort für Wort, aber wenn man es auf Deutsch übersetzt, heißt es so viel wie „Es ist sehr befreiend, wenn man merkt, wie wenig es die Menschen interessiert.“ So, they don‘t care! They don‘t give a fuck.

Es ist ein bisschen so, als kannst du machen, was du willst. Morgen erinnert sich sowieso niemand mehr daran.

Einerseits ist das megatraurig, andererseits extrem befreiend.

Ja, das stimmt. Wenn man so darüber nachdenkt, kann es wirklich befreiend sein. Aber es kann auch in die andere Richtung laufen. Hast du zu deinen Bildern auch mal anzügliche Kritik oder so zu spüren bekommen?

Ja, am Anfang. Von einem Gastdozenten zum Beispiel. Wir hatten einen Filmdreh und er hat meine Bilder gesehen und gesagt: „Ah wow, du fotografierst dich einfach die ganze Zeit selber! Das ist ja narzisstisch!“

Narzisstisch?

Er hat dabei gelacht und ich habe nur gesagt: „Puh, I don’t know.“

Für mich ist es so gewesen, dass ich genau wusste, wieso ich das mache. Es ist definitiv kein Narzissmus. Einfach ein Wunsch nach Ausdruck. Selbstliebe ist das Thema. Narzissmus ist davon einfach das negative Wort.

Die Fotografie hat mir schon sehr geholfen auf meinem Weg zu mehr Selbstliebe. Es ist sehr heilend.

Narzisstisch ist vielleicht auch einfach nur das Extreme davon. Denn Selbstliebe ist ja essenziell.

Ja! Also, ich würde sagen, einfach nur negativ formuliert. Es hat natürlich auch irgendwie einen wahren Kern. Aber es ist nicht so, dass ich mich selber fotografiere, weil ich mich so sehr liebe. Eher, weil ich etwas ausdrücken möchte. Und dadurch bin ich zu mehr Selbstliebe gekommen. Es ist das Resultat. Nicht der Grund.

War dir das von Beginn an so klar?

Nein, das alles sind Mechanismen, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht so bewusst wahrgenommen habe. Ich habe es einfach gemacht. Das alles, die Reflexionen und das, was ich dir hier jetzt sagen kann, ist über Jahre entstanden. In Rückschau auf diese Zeit, auf den Prozess wird es mir klar.

Ich sag’ immer, letztendlich musst du es mehr lieben als andere dir Gegenwind geben.


Chantal Convertini – Ein Interview in Etappen – weiterlesen:

02 Den Raum lesen

03 Community

04 Intimität, Gemeinschaft, Angst und Mut

00 Intro

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Chantal Convertini