Den Raum lesen

#2 Von ungemütlich zu komfortabel

Ich schaue mich etwas um. Studio 341 wirkt recht industriell. Betonwände, Lagerhallenoptik, große Fenster. Auf dem Boden liegen noch ein paar fotografische Werke der letzten Ausstellung. Hochwertig gedruckt und aufgezogen.

Im hinteren Teil des Raumes ein paar Schreibtische und Office-Kram. Im vorderen Teil eine kleine Spülbeckennische und ein Tisch mit Stühlen.

Bevor ich all meine Fragen zur Ausstellung, zu ihr und ihren Werken verpulvere, trinken wir gemütlich den Tee, den Chantal mir zubereitet hat.

„Das Interview können wir auch oben machen, da ist das Licht viel schöner“, schlägt Chantal vor.

Wir nehmen den Tee in die Hand und gehen ein paar Stufen und Treppen im Werkstattgebäude hinauf.

Das obere Studio wirkt viel wärmer in der Anmutung. Hell, freundlich und viel Licht scheint von draußen auf die weißen Wände und Holzbalken. An der vorderen Seite des Raumes befinden sich Studio-Utensilien. Roll-Ups, Studioleuchten, Blitze und so weiter. Vor der Fensterfront zwei gut gepolsterte Stühle, die zum Verweilen einladen. Hinten im Eck ein kleiner Tisch und weitere Sitzgelegenheiten.

Wir setzen uns in den hinteren Teil des Raumes und überblicken das Studio in Gänze.


Hier spielt sich wahrscheinlich wahnsinnig viel für dich ab. Findest du hier zu Ideen? Oder auch unten in dem Raum?

Es ist eine lustige Geschichte mit dem Atelier. Da, wo wir jetzt sind, bin ich vor zwei Jahren im Sommer schon gewesen. Ich habe das eher als Office und Shooting Location genutzt. Es war aber schwierig für mich, von meinem Schlafzimmer in so ein großes Studio zu wechseln. Ich habe mich sehr über so viel Platz gefreut, aber auch schnell gemerkt, dass ich mich hier komplett verloren fühle.

In meinem Zimmer kenne ich jede Ecke in- und auswendig. Jedes Licht, jeden Lichtstrahl zu jeder Uhrzeit. Alles.

Wenn man in ein Studio wechselt, ist das eine ganz andere Herangehensweise. Ich habe mich recht lang daran gewöhnen müssen. Und lustigerweise, als ich mich daran gewöhnt hatte, musste ich wieder raus, weil jemand anderes ins im Studio wollte.

Als du dich gerade hier eingelebt hattest, musstest du wieder raus? Warum?

Ich war nur untergemietet für drei Monate. Die, die vorher hier drin gewesen sind, haben damals ein neues Studio gefunden. Das hat sich aber als „Fail“ entpuppt und sie sind wieder zurückgekommen.

Die beiden trennten sich und die, die gemalt hat, ist hier im Raum geblieben. Die andere, ihre Schwester, die auch Fotografin ist, hat ein Stockwerk weiter unten etwas gemietet.

Sie hat mich gefragt, ob ich als Fotografin mit ihr ein Studio zusammen gestalten möchte. Ich war voll begeistert. Fand das total toll. So ein Gemeinschaftsatelier hat meinen ganzen Arbeitsalltag extrem bereichert.

Dann musstest du dich nach den drei Monaten wieder an eine neue und andere Situation für deine Fotografie gewöhnen?

Ja, genau. Dort dann das Gleiche wieder – wieder ein neuer Raum.

Du hast es gesehen, es ist doch sehr industriell da unten. Ich komme ja aus dem intimen Selbstportrait. Warm, weich, sanft. Ich brauchte richtig viel Zeit, bis ich mich dort bewegen konnte.

Aber jetzt sind wir hier oben! Bist du dann jetzt unten und oben im Atelier zu Hause?

Ja. Die Situation ist jetzt wieder anders. Das hier oben ist für mich wieder dazu gekommen. Jetzt habe ich wirklich sehr viele Möglichkeiten.

Ich fotografiere immer noch daheim, wenn’s um Selbstportraits geht. Oder auch so intime Dokumentation von der Beziehung. Aber für Shootings mit anderen Personen, mit Models, mit Freundinnen, da kann ich mich hier wirklich austoben.

Es ist ein konstanter Prozess, um sich in neuen Räumen wiederzufinden. Ich versuche dann immer einen Raum zu lesen und kennenzulernen.

Was brauchst du, um dich in einem Raum kreativ frei zu fühlen? Licht ist notwendig, klar! Aber brauchst du noch irgendeine Inspiration oder etwas, was dir dabei hilft?

Mein Lieblingsfotograf hat so was gesagt wie: „Du brauchst kein Schloss, kein Wahnsinns-Fotostudio oder megaverrücktes Set-up, um deine Kunst zu machen. Grundsätzlich solltest du in der Lage sein, jeden Raum und jede Örtlichkeit zu nutzen, um überall Arbeit zu kreieren, die dir etwas bedeutet.“

Das hat mich sehr begeistert und inspiriert! Ich hatte so vieles nicht, bevor ich ins Studio gekommen bin. Ich hatte nur ein voll gerumpeltes Zimmer und habe dort angefangen, Zeug zu verkaufen, wegzugeben und meinen Schrank abzubauen. Einfach, um mehr Platz zu haben. Vier Jahre lang habe ich so geshootet und gemerkt, dass es alles ist, was ich brauche.

In letzter Zeit ist mir aber immer mehr bewusst geworden, dass nicht jeder Raum gleich ist! Gewisse Sachen brauche ich dann doch.

Zu viel zugestellte Räume irritieren mich und bringen mich raus. Lieber clean. Lieber etwas weniger als mehr. Schönes Licht! Es muss nicht nur Sonnenlicht da sein, es sollte auch genug Licht sein. Vor allem für die Filmfotografie!

Was mir auch sehr hilft, ist ein Spiegel. Entweder weil er Ideen generiert oder weil ich eine ganz bestimmte Idee habe und wissen muss, ob sie umsetzbar ist.

Als ich dieses Jahr in Ecuador war, war es so, dass unser Zimmer keine Spiegel hatte. Da habe ich gemerkt, wie schwierig es ist zu fotografieren, wenn man so gar nichts sieht.

Da gab es echt so gar keinen Spiegel?

Also halt einer im Badezimmer. Meistens kannst du die ja abnehmen. In dem Fall leider nicht.

Ich weiß schon, wieso meine Zimmer immer voller Spiegel sind.

Wie bist du vorgegangen? Oder hast du dann einfach mal nicht fotografiert?

Ich habe versucht, mich anders zu orientieren und bin viel raus an den Strand gegangen. Ich dachte mir, dass ich ja zu Hause keinen Strand mehr habe.

Ich kenn’ das gut, wenn man in einen Raum kommt und dieser so gar keine Inspiration bietet. Dort dann trotzdem irgendwas zu finden, ist manchmal ziemlich schwer.

Das ist aber vielleicht auch genau das, was mit dem Zitat gemeint ist. Da muss man halt einfach noch mal ablassen, loslassen. Seine Vorstellungen und Erwartungen – meistens hat man ja doch irgendeine Vorstellung, auch wenn sie noch so klein ist.

Ja, genau! Das bringt einen dann auch ein bisschen aus der Komfortzone. Kleiner Raum, schönes Licht, ein Spiegel – das ist halt meine absolute Komfortzone. Das ist mein Zimmer. Das ist mein Start. Da weiß ich einfach, dass es funktioniert.

Dort rauszugehen und zu sagen: „Ich lass’ mich jetzt inspirieren von dem, wo ich bin und nimm das so an, wie es ist.“ Das ist manchmal nicht leicht, aber generiert auch wieder Ideen.

Manchmal tut das ja auch gut aus der Komfortzone zu kommen ... und dann wieder zurück.

Voll! Mit frischen Inputs.


Chantal Convertini – Ein Interview in Etappen – weiterlesen:

01 Von Leinwand zu Foto, von Foto zu Web

03 Community

04 Intimität, Gemeinschaft, Angst und Mut

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